Die vier Sprachen



Um 200 v. Chr. verfasste der jüdische Lehrer Jesus Sirach (Ben Sira) ein Weisheitsbuch, das schon in der Antike beliebt war. Obwohl es nie zum Bestand der hebräischen Bibel gehörte, verwendeten und zitierten es einige jüdische Gelehrte wie einen heiligen Text. Dennoch wurde der Text nicht sehr sorgfältig und nur spärlich überliefert und ging im Laufe der Zeit ganz verloren. Über mehrere Jahrhunderte hin war er nur über sekundäre Quellen bekannt, vor allem durch seine antiken Übersetzungen, nämlich die griechische, die syrische und die lateinische. Doch weisen die Überlieferungen innerhalb der einzelnen Sprachen diverse Überarbeitungen und unterschiedliche Fassungen auf und auch die Unterschiede zwischen den Sprachversionen sind erheblich. Die Texte unterscheiden sich nicht nur formal, sondern auch inhaltlich. Dies betrifft zum einen die Anordnung und den Umfang der Texte, zum anderen die Wortwahl.
Die komplizierte Überlieferungsgeschichte macht es nicht leicht, mit dem Buch umzugehen, weil sich keine Urfassung rekonstruieren lässt, andererseits die einzelnen Übersetzungen nicht nur in rein sprachlichen Dingen, sondern auch in der ihnen zugrunde liegenden Theologie divergieren. Wenn man also eine einzelne Textfassung als Ausgangspunkt verwendet, betont man die dahinter liegenden theologischen Konzepte im Vergleich zu den anderen Versionen. Vor allem die Herausgeber der modernen Bibelübersetzungen gehen einen anderen Weg und legen einen Mischtext aus den unterschiedlichen Versionen zugrunde. Dies hat natürlich den entscheidenden Vorteil, dass man einen einheitlichen und gut lesbaren Text übersetzt. Allerdings gehen dadurch natürlich die Charakteristika der einzelnen Versionen verloren

 

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